Bereits zum 27sten Mal hat er in diesem Jahr stattgefunden, der Bundeswettbewerb “Unser Dorf hat Zukunft”. Seit 1961 will die Bundesregierung auf diesem Weg Menschen motivieren, ihre Zukunftsperspektiven selbst in die Hand zu nehmen und aktiv an der Verbesserung der ländlichen Lebensqualität mitzuwirken. Tatsächlich stehen Dörfer durch die zunehmende Entkopplung von Dorf und Landwirtschafft immer öfter vor der Herausforderung, sich neu erfinden zu müssen. Wie die unter den rund 1.100 Wettbewerbsteilnehmern ermittelten 22 Sieger zeigen, gelingt das vielen sehr gut. Welche Dorftypen Zukunft haben, erfahren Sie im folgenden Blogbeitrag.
Stadtnah und lässig – Downshifting-DörferDownshifting-Dörfer erschließen Städtern die Möglichkeit, ihren Lebensstil temporär – beispielsweise über das Wochenende oder für einen Nachmittag zu verändern. Das setzt einerseits eine gute Erreichbarkeit aus der nächsten Großstadt und andererseits den klaren Kontrast zur Urbanität voraus. Der Dorfplatz, die Kirche, das Traditionskaffee und rundherum eine Landschaft , an der sich das Auge weiden kann. Gerswalde in Brandenburg ist ein solches Dorf. Von Berlinern irgendwann als Stadtflucht-Oase entdeckt, entwickelt sich der Ort zunehmend zur Hipster-Location – mit Japanerinnen, die im Palmenhaus Matcha-Cheesecake und selbstgemachte Holunderlimonade verkaufen, dem Fischmann, der seit Neustem hier seine Räucherei betreibt oder dem Paar, das nach altem Gärtnerbrauch fast ausgestorbene Gemüsesorten züchtet.
Vom Dorfgemeinschaftshaus zum Kreativ-HubEin Comeback erleben auch Dörfer, die sich als kreative Hubs etablieren. Voraussetzung dafür ist eine erstklassige digitale Vernetzung, die es Menschen in Berufen ohne Präsenzpflicht ermöglichen, New Work-Konzepte zu leben – zum Beispiel, indem sie Räumlichkeiten anbieten, in denen Co-Working-Konzepte umgesetzt werden können. Da stadtmüde Kreative und experimentierfreudige Dörfer nicht ohne Weiteres zusammenfinden, haben sich die Österreicher Christof Isopp und Roland Grober als „Die Verknüpfer“ genau das zur Aufgabe gemacht. Mit ihrem Verein “LandLuft” ermuntern sie Gemeinden im ländlichen Raum, sich mit Baukultur und ihrer eigenen Zukunft auseinanderzusetzen. Mit Erfolg, wie die Dörfer Bad Blumau, Hinterstoder, Kronstorf und viele weitere beweisen.
Die Vision leben – in der Einsteiger-KommuneDörfer haben auch als Gegenentwurf zu gesellschaftlichen Fehlentwicklungen eine Zukunft – als Community für Menschen, die politische Mitbestimmung, Basisdemokratie und das Prinzip der Selbstversorgung in die Tat umsetzen. Als Einsteiger, nicht als Aussteiger. Die gemeinsamen Ziele schweißen Macher unterschiedlichster Herkunft zusammen – wie im Dorf Tempelhof zwischen Stuttgart und Nürnberg. Was mit zwanzig Menschen und einer gemeinsamen Vision begann, manifestiert sich heute in 34 Hektar Boden, zahlreichen Häusern, eigenem Agrarland, einem Waldstück mit Quelle, einer Großküche, einem Gästehaus, einer Schule, einer Werkhalle und einem Schloss. Als Ideal einer zukunftsfähigen Lebensweise.
Aus dem Öko-Landbau erwachsen Bio-OasenDie Entkopplung von Dorf und Landwirtschaft kann sich auch umkehren. So führt die steigende Nachfrage nach biologisch erzeugten Lebensmitteln mancherorts zu einer Reaktivierung ländlicher Regionen. Die aus Öko-Landbau gewonnen Produkte sind aufwändiger in der Herstellung und tragen so zur Schaffung von Arbeitsplätzen auch jenseits der Landwirtschaft bei. Zudem werden sie bevorzugt in Hofläden verkauft, was Städter aufs Land lockt. Auch hier ist die Nähe zur Metropole von Vorteil. Bestes Beispiel für eine Bio-Oase in Dorfgröße ist der Dottenfelderhof – ein Demeter-Betrieb in der Nähe von Frankfurt am Main.
Gemeinsam aktiv bleiben im Health VillageEin Dorf mit Zukunft muss nicht zwangsläufig demografisch verjüngt sein. Auch das Gegenteil ist möglich – wie beispielsweise im niederländischen Hogeweyk, dem ersten Demenzdorf. Anhand von 60 Fragen, die Bewerber und deren Angehörige beantworten, wird ermittelt, welche Bevölkerungsgruppe der Erkrankte repräsentiert. Wer früher ein Theaterabonnement hatte, ist in der kulturellen Wohngruppe gut aufgehoben. Der ehemalige Tischler fühlt sich in der handwerklichen Wohngruppen zu Hause. Dörfer mit guter Vorsorge- und Gesundheitsinfrastruktur – wie Seniorendörfer und -wohnparks – ermöglichen selbst im hohen Alter ein aktives Leben und haben angesichts der demografischen Entwicklung Trendpotenzial.
Testlabore für die EnergiewendeDörfer bieten Laborbedingungen für die energetische Transformation und werden auch bereits als solche genutzt. Das Energiedorf Wildpoldsried treibt seine Energiewende seit über 20 Jahren voran. Entsprechend hoch ist der Erkenntnisgewinn aus der Kopplung verschiedener regenerativer Energiequellen und der Implementierung von intelligenter Steuerung (Smart Grids). Die Stromproduktion aus Wind, Sonne, Biogas und Wasserkraft übersteigt den Eigenbedarf um das Achtfache. Seit Ausbruch des Ukrainekrieges hat der dörfliche Musterschüler alle Hände voll zu tun, die internationale Nachfrage nach Führungen zu bedienen. Dass noch viele Gemeinden diesem Beispiel folgen werden, liegt auf der Hand.
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